Getrennt- und Zusammenschreibung Teil I: Adjektiv-/Adverb-Verb-Kombinationen
- Wozu Getrennt- und Zusammenschreibung?
- Bedeutung als Kriterium
- Betonung als Kriterium
- Flexion, Stellung und Komplexität des Adjektivs/Adverbs
- Fazit
1. Wozu Getrennt- und Zusammenschreibung?
Zwischen Knast und Freispruch liegt manchmal nur ein Leerzeichen. Wie etwas geschrieben wird, kann weitreichende Folgen haben – dies gilt auch für die Getrennt- und Zusammenschreibung. Es ist unter Umständen ein großer Unterschied – mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen –, ob Leute einen Menschen zusammen schlagen (mehrere Täter, mit beliebiger Intensität) oder ob sie ihn zusammenschlagen (in jedem Fall schwere Körperverletzung, die im Übrigen auch von einer Einzelperson begangen werden kann). Zum Beispiel für Polizeiprotokolle nicht ganz ohne Belang!
Nicht nur aus diesem Grund werden wir künftig einige Blogbeiträge den übelsten Tücken der Getrennt- und Zusammenschreibung widmen. Aber wie lässt sich der Unterschied bei solchen Kombinationen aus Adverb/Adjektiv und Verb, für die es beide Schreibweisen gibt, in ihren sprachlichen Eigenschaften so fassen, dass man einigermaßen zuverlässig Rechtschreibregeln daraus ableiten kann?
Anhaltspunkte für die korrekte Schreibung erhalten wir in erster Linie auf der Bedeutungs- und meist auch auf der Lautebene. Aber die Wortstellung und die Komplexität der Elemente können ebenfalls einen Einfluss haben.
2. Bedeutung als Kriterium
Allgemein gilt, dass eine Getrenntschreibung nur an syntaktischen Sollbruchstellen möglich ist. Also überall dort, wo ein Element ausgetauscht oder erweitert werden kann. Beim genannten Beispiel sagt uns die Tatsache, dass zusammen schlagen beispielsweise zu zusammen mit anderen schlagen erweitert werden kann, dass die Lücke im Schriftbild Pflicht ist. Bei zusammenschlagen im Sinne von „krankenhausreif schlagen“ verhindert jedoch die eigenständige Bedeutung des gesamten Ausdruckes sowohl Einschübe als auch den Austausch von Elementen.
Zusammenschreibung ist vorgeschrieben, wenn „der adjektivische Bestandteil zusammen mit dem verbalen Bestandteil eine neue, idiomatisierte Gesamtbedeutung bildet, die nicht auf der Basis der Bedeutungen der einzelnen Teile bestimmt werden kann (…)“ (amtliche Regelung des Rates für deutsche Rechtschreibung von 2005/06, § 34 Abs. 2.2). Dies gilt auch für unsere Kombination aus Adverb und Verb. Wird jemand zusammengeschlagen, ist das Schlagen zwar wörtlich zu verstehen. „Zusammen“ bedeutet für sich genommen aber „gemeinsam“ oder „beieinander“ – ein Aspekt, der nicht so offensichtlich in die Bedeutung von zusammenschlagen einfließt (vermutlich ist die Nähe der Körperteile zueinander im Vergleich zur aufrechten Körperstellung gemeint). Gemeinsam kann man hingegen auch einen Wettkampfgegner schlagen, auch hier wäre die Schreibweise zusammen schlagen korrekt.
Bedeutungsunterschiede können auch subtiler sein. Um beim Thema zu bleiben – ein Richter kann ein Urteil frei sprechen, deshalb muss es aber noch lange kein Freispruch sein, denn dann würde er den Angeklagten freisprechen. Der springende Punkt ist, dass im ersten Fall keine idiomatisierte Gesamtbedeutung vorliegt. Der Richter spricht tatsächlich (macht eine sprachliche Äußerung), und dies geschieht frei (auswendig bzw. improvisiert ohne Unterstützung durch ein Skript oder eine Person. Dies ist ähnlich zu verstehen wie bei frei balancieren.) „Frei“ beschreibt hier einen Aspekt der Kommunikationssituation. Auch beim Freispruch spricht der Richter zwar, aber nicht notwendigerweise ohne abzulesen, und frei ist am Ende nicht der Spruch bzw. der Sprechvorgang, sondern der Angeklagte. Bei freisprechen handelt es sich um ein resultatives Objektsprädikativ; bei solchen Prädikaten ist Zusammenschreibung immer möglich, aber nur dann Pflicht, wenn es auch eine getrennt geschriebene Variante mit eigener Bedeutung – wie frei sprechen – gibt, die sich so auch in ihrer schriftlichen Form vom Gegenstück abhebt.
Die Einzelbedeutungen sind beim Verb freisprechen zwar erhalten, aber es ist nicht wie bei glattstreichen, wo das bloße Streichen etwas glättet – durch bloßes Sprechen ohne spezifischen Inhalt in spezifischer Form wird niemand frei. Dieser resultative Aspekt ist beim Zusammenschlagen nicht unmittelbar erkennbar, das Opfer ist am Ende des Vorgangs nicht mehr „zusammen“ als vorher, es sei denn, er ist in der oben erwähnten Weise gekrümmt oder zusammengeklappt. (In diesem Zusammenhang kann die Feststellung interessant sein, dass die lateinische Vorsilbe co(n)-, die in dem Verb collabi „zusammenfallen, zusammenbrechen“ steckt – daher auch das Lehnwort Kollaps –, nicht nur „zusammen“ oder „mit“, sondern auch „völlig“ bedeuten kann.) Trotzdem ist zusammen ebenso wenig wie glatt eine Eigenschaft der handelnden Person oder der Handlung selbst – diesen Aspekt haben beide definitiv gemeinsam.
Zusammenschreiben in der hier hauptsächlich behandelten rechtschreibtechnischen (und eigentlich auch resultativen) Bedeutung steht in vordergründig seltsamem orthografischem Gegensatz zu getrennt schreiben: Ausgerechnet für dieses Gegensatzpaar gelten unterschiedliche Rechtschreibregeln! Warum? Weil es sowohl zusammenschreiben als auch zusammen schreiben („gemeinsam schreiben“) gibt, getrennt schreiben aber kein getrenntschreiben* gegenübersteht. (Und das, obwohl es auch von getrennt schreiben durchaus zwei Bedeutungen gibt – wir können Wörter getrennt schreiben, aber auch räumlich getrennt voneinander etwas schreiben.) Man sieht, dass die bedeutungsbezogenen Regeln zwar allgemeine Anhaltspunkte liefern, aber nicht in jedem Einzelfall gelten. Wir stellen fest: Man sollte beim Schreiben immer prüfen, ob eventuell ein gleich lautendes Gegenstück mit anderer Bedeutung existiert, dies kann für die Schreibweise ausschlaggebend sein. In Zweifelsfällen ist immer noch das Nachschlagen in einem Wörterbuch erforderlich.
Zusammen schreiben
Getrennt schreiben
(Bei getrennt schreiben ist die Schreibung praktischerweise immer gleich, aber der Leser muss die Bedeutung aus dem Zusammenhang erschließen.) Bei zusammen schreiben / zusammenschreiben kann auch die Lautebene einen Anhaltspunkt für die korrekte Schreibung liefern: häufig finden wir Hinweise in der Intonation.
3. Betonung als Kriterium
Gibt uns die Lautebene vielleicht ein besseres Kriterium an die Hand als die Bedeutung? Wir stellen fest, dass beim Kompositum zusámmenschlagen der Hauptton (gekennzeichnet durch das ´ über der betonten Silbe) auf der zweiten Silbe des ersten Wortes liegt. Bei zusámmen schlágen hören wir in der Regel zwei Haupttöne, ein Hauptton nur auf schlagen ist auch möglich. Dies gibt uns einen Hinweis auf die Schreibweise. Gilt es nun für alle Adjektiv-/Adverb-Verb-Zusammensetzungen, dass beim Vorliegen zweier Haupttöne getrennt und beim Vorliegen nur eines Haupttons im ersten Element zusammengeschrieben wird? Dann hätten wir eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage. Aber so ist es leider nicht: Bei Zusammensetzungen mit dem Verb machen liegt zum Beispiel in der Regel ein einziger Hauptton auf dem Adjektiv. Ein Beispiel mit zwei Varianten ist sich dünn machen (wenig Platz in Anspruch nehmen) / sich dünnmachen (verschwinden). Hier ist in beiden Fällen die Betonung gleich, die Schreibweise aber verschieden; dafür hilft allerdings die Bedeutungsebene besonders gut bei der Rechtschreibung.
Sich dünn machen
Sich dünnmachen
Gelegentlich sind bei Zusammensetzungen mit machen auch beide Schreibweisen für dieselbe Lesart möglich. Fertigmachen und fertig machen stehen als Varianten des resultativen Objektsprädikativs (sowohl in der Bedeutung „zu Ende bringen“ als auch im Sinne von „vorbereiten“) nebeneinander. Der Duden zieht allerdings die getrennte Schreibweise vor; diese sorgt auch für einen optischen Unterschied zu fertigmachen mit idiomatisierter Gesamtbedeutung (körperlich oder psychisch kampfunfähig machen). Trotzdem entscheidet bei Gerichtsdokumenten der Kontext (oder die Beweislage) darüber, ob es um eine strafbare Handlung geht.
Außerdem kann natürlich noch situationsbedingt eine einzelne Silbe zum Zweck der Hervorhebung betont werden. Diese Variabilität der Sprechmelodie muss beim Schreiben nach Möglichkeit ignoriert werden; nur die neutrale Betonung taugt als Kriterium. Gleichlautende Sätze wie
Sie haben ihn zusámmen geschlagen (nicht einzeln)
und
Sie haben ihn zusámmengeschlagen
können ohne relevante Zusatzinformationen nur in Schriftform vereindeutigt werden; hier kann die richtige Schreibweise extrem wichtig sein und den freundlichen Klaps auf die Schulter seitens mehrerer Freunde (oder dem Sieg in einem Wettkampf) einerseits von schwerer Körperverletzung andererseits unterscheiden.
4. Flexion, Stellung und Komplexität der Adjektive/Adverbien
Um das Ganze noch komplizierter zu machen, funkt als weiterer Faktor die Steigerung mancher Adjektive und Adverbien dazwischen. Haben wir mithilfe von Bedeutung und Betonung erfolgreich geklärt, dass schwer fallen anders geschrieben werden muss als schwerfallen (schwierig sein), dann wird uns gewaltig gegen den Strich gehen, dass die Steigerung schwerer fallen immer getrennt geschrieben werden muss. Die Regel, nach der Komparative immer vom Verb getrennt stehen müssen, beruht möglicherweise auf der Tendenz, dann getrennt zu schreiben, wenn das erste Wort aus mehreren Silben besteht. Auch dann, wenn das Adjektiv oder Adverb am Anfang des Satzes steht, muss es vom Verb getrennt sein („Schwer fällt mir die Getrenntschreibung nicht.“) Erweiterte Adjektive und Adverbien werden ebenfalls abgetrennt („Es ist mir nicht besonders schwer gefallen“).
Ansonsten kann das Schriftbild aber in Zweifelsfällen helfen, Missverständnisse zu vermeiden.
5. Fazit
Von der akustischen Form auf die Schriftform zu schließen, ist nicht zuverlässig möglich. Dennoch sind die hier beschriebenen Kriterien als allgemeine Entscheidungsgrundlage nützlich und in den meisten Fällen anwendbar.
Die vier Fragen, die man sich beim Schreiben stellen sollte, sind:
- Steht das Adjektiv/Adverb am Anfang des Satzes? → Getrenntschreibung
- Liegt eine idiomatisierte Gesamtbedeutung vor? → Zusammenschreibung
- Sind beide Elemente betont? → Getrenntschreibung
- Ist das Adjektiv/Adverb gesteigert oder erweitert? → Getrenntschreibung
Damit lassen sich schon die meisten Fehler vermeiden. Um angesichts diverser Ausnahmen auf Nummer sicher zu gehen, empfiehlt sich jedoch der Blick in ein anerkanntes Rechtschreibwörterbuch. Aber zum Glück steht man hierzulande als Angehöriger der schreibenden Zunft selten selbst mit einem Bein im Gefängnis. Wenigstens eine Regel ist unumstößlich: Zusammensetzungen mit dem Verb „sein“ werden immer getrennt geschrieben. (Für Nominalisierungen davon gilt natürlich das Gegenteil).
Falsche Schreibweisen sind mit einem * gekennzeichnet.
Weitere Informationen rund ums Texten gefällig? Dann werfen Sie doch einmal einen Blick in unser Kompetenzzentrum für Texter.
Bildnachweise:
“Violence” #101769713 | Urheber: Jonathan Stutz – Fotolia.com
“Middle-aged couple spending time on floor” #124628467 | Urheber: zinkevych – Fotolia.com
“two people sitting on the same bench and using laptops : made of paper” #99587533 | Urheber: Igor kisselev – Fotolia.com
“Strichmännchen mit rollenden Bürostuhl nach hinten und Platzmangel” #123476977 | Urheber: ufotopixl10 – Fotolia.com
“Dinosaur chasing caveman” #77673046 | Urheber: wickerwood – Fotolia.com
Aha … Wo würden Sie da genau einen Glottalverschluss realisieren?
“Sie haben ihn zusámmen geschlagen (nicht einzeln)
und
Sie haben ihn zusámmengeschlagen
können ohne relevante Zusatzinformationen nur in Schriftform vereindeutigt werden.”
Das ist schlichtweg falsch. Bei einer nicht übermäßig schludrigen Aussprache wird bei zusammen schlagen ein Glottalverschluss gesprochen, bei zusammengeschlagen hingegen nicht.
Vielen Dank, Frau Lohmann,
für diesen wahrscheinlich sehr arbeits- und zeitaufwändigen Artikel: Er ist auch bei wiederholter Lektüre ein Genuss. In meinem Kopf entstehen immer wieder neue “Links”, denen ich gedanklich nachgehe. So viel Substanz ist heute selten geworden im geschriebenen oder gesprochenen Wort.
Es grüßt Sie und die content.de-community
Peter Umlauf