Journalistisches Genre – der Kommentar

Wenn Journalisten ihre Meinung sagen …

Kommentar… dann tun sie das nicht „frei Schnauze“, sondern nutzen den Rahmen der entsprechenden Textsorte, die ihnen der Journalismus – wo auch der Ausdruck subjektiver Ansichten reglementiert ist – zur Verfügung stellt. Form und Gestalt unterliegen, wie andere journalistische Darstellungsformen auch, festen Regeln, die das Schreiben zwar nicht einfacher machen, aber die Voraussetzung für gelungene Texte sind. Wie bei Meldungen oder Nachrichten, stehen auch im Kommentar Relevanz und Logik im Vordergrund. Dennoch unterscheiden sich die Textsorten deutlich voneinander. Während die Nachricht unbedingt objektiv und wertfrei formuliert werden muss, schafft der Kommentar Raum für Meinungen, Wertungen und Annahmen. Welche Funktion der Kommentar für den gesellschaftlichen Diskurs einnimmt und was einen gelungenen Kommentar ausmacht, soll in diesem Blogbeitrag der Reihe „Journalistische Genres“ genauer betrachtet werden.

1. Der Kommentar – eine Darstellungsform mit Sonderstellung

Der Kommentar nimmt innerhalb der journalistischen Darstellungsformen eine Sonderstellung ein. Schon optisch ist er meist – zumindest in Printmedien – deutlich von den anderen Textsorten wie Meldung oder der Bericht zu unterscheiden. Kommentare besitzen traditionell eine vom sonst einheitlichen Layout abweichende Gestaltung, sind oft kursiv gesetzt und/oder in einer anderen Schriftart gedruckt. Meist sind sie sogar explizit betitelt mit „Ein Kommentar von …“. Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied zur Nachricht: Der Texter des Kommentars wird immer genannt.

Die Hervorhebungen haben zum einen die Funktion, dem Leser auf einen Blick erkennen zu lassen, dass es sich eben nicht um eine reine Nachricht handelt und wirken sozusagen textsortenunterscheidend. Zum anderen spiegelt diese wortwörtlich „eigenartige“ Gestaltung den besonderen Status des Kommentars innerhalb der Presse wider. Denn der Kommentar ist die einzige Darstellungsform des Journalismus, in der ganz gezielt und offensichtlich mit Überzeugungstechniken gearbeitet wird. Während das höchste Gut der Berichterstattung das der objektiven Darstellung von Wirklichkeit, d. h. der auf reinen Fakten basierenden Informationsbereitstellung ist, möchte der Kommentar diese Grenze überschreiten und direkten Einfluss auf den Leser, seine Ansichten und sein Handeln nehmen. Wo die Nachricht lediglich die Grundlage für eine Meinungsbildung schaffen will, greift der Kommentar gezielt in den Prozess der Meinungsbildung ein, indem er dem Leser einen Ausschnitt eines „fertigen“ Weltbildes anbietet. Damit werden die besondere Bedeutung und gleichzeitig die Problematik dieser Darstellungsform offensichtlich.

2. Der Kommentar als Vorbild für den gesellschaftlichen Diskurs

Welche Funktion hat der Kommentar eigentlich innerhalb des Journalismus? Sollte sich der Leser nicht seine eigene Meinung auf der Grundlage neutraler Informationen bilden? Geht die Presse mit dem Angebot „vorgefertigter“ Meinungen und Weltbilder nicht viel zu weit? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir einen Schritt zurückgehen und uns die Aufgabe des Journalismus im Allgemeinen genauer anschauen.

Die Presse, z. B. die Zeitung, ist ein etabliertes Medium der Meinungs- und Willensbildung. Um sich eine Meinung, d. h. auch einen politischen Willen, bilden zu können, muss sie alle dafür notwendigen Informationen bereitstellen. Sie muss wahrheitsgemäß, objektiv und vollständig über die gesellschaftspolitisch relevanten Themen berichten, darf nicht verzerren oder relevante Fakten bewusst weglassen.

Aber für politische Entscheidungen sind nicht nur reine Informationen wichtig, sondern auch die existierenden Meinungen und die verschiedenen Interpretationen der gegebenen Informationen. Neben der medialen Aufgabe im Prozess der Meinungs- und Willensbildung ist es ebenfalls Aufgabe der Presse, die in der Öffentlichkeit kursierenden Ansichten, Meinungen und Interpretationen zu bündeln, zu verbreiten und selbst Stellung zu beziehen. Sie soll die Entwicklung des gesellschaftlichen Diskurses abbilden und vorantreiben. Nur wenn der Leser unterschiedliche Meinungen kennt, kann er diese gegeneinander abwägen, modifizieren und seinem eigenen Weltbild anpassen.

Mit dem Kommentar können und sollen Journalisten dieser Aufgabe nachkommen. Auch wenn sie dabei frei in ihrer Meinungsäußerung sind, müssen sie sich stets ihrer Verantwortung als Akteure und Repräsentanten des Journalismus bewusst sein. Ziel darf nicht sein, Meinungsmonopole zu bilden, sondern – im Gegenteil – Ansichten kritisch zusammenzufassen, unkonventionelle Meinungen zu analysieren, dominierende Meinungen zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen, sodass ein facettenreicher Diskurs aus Rede und Gegenrede entsteht, der dem Leser Orientierung gibt und ihn bei der eigenen Urteilsbildung unterstützt. Idealisiert betrachtet, ist der Kommentar somit das Vorbild für den gesellschaftlichen Diskurs.

Nachdem die gesellschaftliche Funktion und die Bedeutung des Kommentars aufgezeigt wurden, wenden wir uns nun den formalen Konventionen zu.

3. Der Kommentar als erklärende und/oder bewertende Ergänzung

Bereits erwähnt wurde die ergänzende Funktion des Kommentars, dem stets ein nachrichtlich thematisiertes Ereignis bzw. ein nachrichtlich thematisierter Sachverhalt zugrunde liegt. Es gilt: Kein Kommentar ohne Nachricht, aber nicht jede Nachricht erhält eine Kommentierung. Auch hier zeigt sich die Bedeutung des Kommentars: Es gibt Phänomene, die sich allein mit den informierenden Textsorten nicht hinreichend thematisieren lassen. Gründe dafür sind meist die Vorschriften, die an die rein informierenden Textsorten geknüpft sind. Neutralität, Objektivität, Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit und Transparenz zwingen den Journalisten oftmals in ein formales und ethisches Korsett, welches für die Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Diskurses wenig fruchtbar zu sein scheint. Mit Kommentaren können diese „Defizite“ kompensiert und die Nachrichten ergänzt werden. Es werden zwei Haupttypen von Ergänzungen unterschieden: der erklärende und der bewertende Kommentar. Diese beiden Typen sind eher als idealisierte Extreme zu betrachten denn als tatsächlich streng voneinander abgrenzbare Kategorien. In der Praxis besitzen Kommentare i. d. R. sowohl erklärende als auch bewertende Merkmale, sodass die Grenzen verschwimmen. Für die genauere Betrachtung der unterschiedlichen Elemente eignet sich die Typisierung dennoch.

Der erklärende Kommentar

Mit dem erklärenden Kommentar werden die Hintergründe eines Ereignisses, eines Sachverhalts oder einer Handlung erklärt, Ursachen aufgedeckt oder die Motive der agierenden Personen beleuchtet. Mit einem erklärenden Kommentar reagieren Journalisten auf schwer zu vestehende Phänomene und bieten dem Leser einen Erklärungsansatz. Sie konzentrieren sich dabei meist auf eine oder mehrere der drei Hauptfragen, je nach fraglichem Phänomen:

Warum? (kausale Zusammenhänge) Wozu? (Intentionen der Akteure) Wie? (Funktion des Phänomens innerhalb eines größeren Ganzen)

Hier finden Sie Beispiele für Kommentare mit erklärenden Elementen:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mieten-der-wohnungsmarkt-ist-ausser-kontrolle-1.2366448

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/solidaritaetszuschlag-widersinnige-sonderabgabe-1.2377025

Der wertende Kommentar

Im Mittelpunkt des wertenden Kommentars steht das Werturteil oder eine Meinungsäußerung. Während die zu erklärenden Phänomene reale Gegebenheiten darstellen – etwa der Anstieg von Mietpreisen –, sind Werturteile nicht in diesem Sinne „real“. Sie sind nicht Teil einer konkreten, greifbaren Wirklichkeit, sondern subjektive Äußerungen, die sich nicht einfach als wahr oder falsch bezeichnen lassen. Wichtigstes Instrument für die Überzeugungskraft wertender Kommentare ist deshalb die Argumentation. Eine Argumentation besteht (1.) aus einer strittigen These, etwa der Meinungsäußerung, (2.) aus einem Argument, und (3.) aus einer allgemein akzeptierten Regel, die das Argument stützt.

Beispiel: 1.) These: F. ist ein erstklassiger Journalist. 2.) Argument: F. hat bereits für viele renommierte Nachrichtenmagazine gearbeitet. 3.) Regel: Bei renommierten Nachrichtenmagazinen arbeiten nur erstklassige Journalisten.

Ein überzeugendes Argument muss sich aus einer Regel ableiten lassen, welche die Relevanz des Arguments für die These sichert. Diese Regel muss nicht immer faktisch überprüfbar sein. Wichtig ist die öffentliche Akzeptanz der Regel. Je höher die Akzeptanz, desto relevanter ist das Argument, welches sich aus der Regel ableiten lässt. Sogar das Bedienen von Klischees kann ausreichen, um Argumente relevant erscheinen zu lassen. Für wasserdichte Argumentationen spielt allerdings neben der Relevanz auch die Richtigkeit bzw. die Berechtigung eines Arguments eine Rolle. Hat F. vielleicht einflussreiche Bekanntschaften, die ihm den Zugang zu den Nachrichtenmagazinen ermöglicht haben? Wurde er möglicherweise aufgrund seiner schlechten Arbeit immer wieder gefeuert? Bestätigen sich diese Annahmen, verliert das Argument an Berechtigung. Relevanz und Richtigkeit sind zwei wichtige Aspekte bei der Argumentation, die unabhängig voneinander funktionieren. Ein Argument kann relevant erscheinen, obwohl es ihm an Berechtigung mangelt. Ebenso kann ein Argument richtig, aber irrelevant für die These sein. In beiden Fällen hinkt die Argumentation.

Für wertende Kommentare ist die Beherrschung der Argumentation von großer Bedeutung. Verlassen Journalisten den Pfad der Fakten, um subjektive Interpretationen und Prognosen abzugeben, gehen sie immer ein Risiko ein. Sie machen sich – wenn auch bewusst – angreifbar. Je weiter sich ein Kommentator aus dem Fenster lehnt, je prophezeiender, kritischer, harscher oder lobpreisender seine Äußerungen sind, desto relevanter und berechtigter müssen seine Argumente sein, um den Leser zu überzeugen und zum (Um-)Denken zu bewegen.

Beispiel für einen wertenden Kommentar:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kommentar-zum-muenchner-amoklauf-braune-sosse-gegen-kopf-ab-sosse-14359986.html

4. Struktur, Inhalt und sprachliche Gestaltung

Und nun zur konkreten Gestaltung: Wie alle journalistischen Texte unterliegt auch der Kommentar strukturellen, inhaltlichen und stilistischen Konventionen.

Die Überschrift

Die Überschrift ist der Angelhaken, mit dem Sie versuchen, den Leser zu fangen, d. h. zum Lesen Ihres Kommentars zu bewegen. Überschriften von Kommentaren dürfen plakativ sein. Wortspiele und Metaphern sind ebenso willkommen wie Polemik und Provokation.

Die Einleitung

Der Kommentar setzt i. d. R. Vorwissen oder zumindest die Bekanntheit des thematisierten Sachverhalts voraus. Für eine schnellere Einordnung der Inhalte und einen leichteren Leseeinstieg bieten viele Kommentare eine knappe Einleitung, die in ein bis zwei Sätzen das strittige Problem (bzw. das Ereignis, den Sachverhalt) benennt, welcher im Folgenden kommentiert wird, und ggf. Hintergrundinformationen bietet. Wichtig: Ob Einleitung oder nicht – der Kommentar sollte von Anfang an den Standpunkt des Kommentators deutlich machen und die zentrale These aufzeigen.

Hauptteil – die Argumentation

Im Hauptteil geht’s ans Eingemachte. In ihm steckt die eigentliche Leistung des Kommentars: die Argumentation. Je nach Ziel des Kommentators bieten sich unterschiedliche Herangehensweisen an. Beispielsweise kann der Kommentator eine weitverbreitete Meinung aufgreifen, um sie zu relativieren bzw. differenziert zu betrachten und damit Pauschalurteile infrage zu stellen. Die Argumentation kann auch darauf abzielen, eine oder mehrere bestehende Meinungen mit Argumenten deutlich zu widerlegen. Oder aber die Argumentation wird einzig und allein dafür genutzt, die eigene Meinung zu stützen und die These zu bestätigen.

Auch für die Gestaltung der Argumentation gibt es verschiedene Möglichkeiten: Wechselspiel aus Pro und Contra, einseitig (erst das eine, dann das andere) oder linear (vom schwächsten zum stärksten Argument). Wichtig bei jeder Art der Gestaltung ist der berühmte „rote Faden“. Der Leser soll nachvollziehbar durch die Argumentation geleitet und, Schritt für Schritt, von der strittigen These überzeugt werden. Tipp: Aussagekräftige Zwischenüberschriften – beispielsweise pro Argument – stützen die Argumentation durch ein übersichtliches Gerüst und machen den Text ansprechender und leserfreundlicher.

Sprachlich ist in Kommentaren fast alles erlaubt bis gewünscht: rhetorische Fragen, Ironie, Wortspiele. Sie zeugen vom Scharfsinn und Sprachgefühl des Kommentators. Allerdings ist der wirkungsvolle Einsatz dieser Stilmittel nicht einfach. Eine Alliteration nur der Sprachfigur wegen zu erzwingen, ist meistens wenig effektiv. Stilmittel müssen sofort einleuchten. Der Leser darf nicht über sie stolpern und grübeln müssen, um sie zu deuten. Sonst geht der Effekt verloren, das Stilmittel irritiert oder wirkt gar absurd. Stilmittel sollten außerdem nicht inflationär verwendet werden, denn bei zu vielen der abstrakten Sprachfiguren wird das Lesen anstrengend. Für sprachliche Stilmittel gilt: wohldosiert, gezielt und dafür umso treffender.

Auch wenn der Kommentar Meinungen widerspiegelt, gehören persönliche, individuelle Bezüge (z. B. „Ich“-Perspektive, Zitate etc.) nicht in einen Kommentar oder sollten nur in Ausnahmefällen gezielt eingesetzt werden. Das Ziel ist es, These und Argumente allgemeingültig wirken zu lassen und entsprechend zu formulieren.

Schlussteil

Das Fazit ist der krönende Abschluss. Es ist das Letzte, was der Leser liest und sollte entsprechend aussagekräftig sein. Hier kommt der Kommentator wieder auf seine Anfangsthese zurück und fasst seine Argumente unter Umständen noch einmal in ein bis zwei Sätzen (knapp!) zusammen. Das Fazit ist besonders bedeutend für die Funktion des Kommentars, den Leser zum Handeln oder Umdenken anzuregen. Was soll der Leser nun tun? Welche Fragen soll er sich stellen? In welche Richtung soll er weiterdenken? Deshalb finden wir am Ende eines Kommentars eine Schlussfolgerung, häufig geknüpft an eine Forderung, einen Appell, einen Kompromissvorschlag, eine Prognose oder eine rhetorische Frage.

Hier finden Sie weitere Beispiele für Kommentare

Viel Spaß beim Kommentieren!

Quellen:

Bildnachweis: Olly@fotolia.de

3 thoughts on “Journalistisches Genre – der Kommentar

  • Pingback: Journalistisches Schreiben | content.de | Blog content.de

  • 1. August 2016 at 16:46
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    Lieber Herr Umlauf,
    zum Glück lese ich keins dieser Provinzblätter, in denen die lokalen Kommentare so abgekartet sind, wie Sie es beschreiben. Das klingt ehr nach Anzeigenblättchen. Jede Zeitung, die etwas auf sich hält, hat auch ihre Lokaljournalisten, die sich gerne an Bürgermeister & Co „reiben“, im Idealfall zwei bis drei mit unterschiedlicher Einstellung. Ich bin froh, das für unsere Herforder Lokalzeitung (mit Bielefelder Wurzeln) sagen zu können.
    Bedenklich finde ich hingegen oft auch die Kommentarqualitäten im Mantel bei regionalen Tageszeitungen. Hier lassen viele Zeitungen täglich die Möglichkeit verstreichen, Köpfe zu positionieren, an denen sich die Leser ggf. auch reiben können. Viele der Kommentare sind oberflächlich, gleichen ehr einer Nacherzählung. Der Grund liegt hier ehr im zeitlichen Notstand: „Wir brauchen heute noch einen Kommentar zum Thema Rente? Wer macht’s?“ Es macht dann der, der verpennt hat, total beschäftigt zu tun und das Ganze dann noch irgendwie in den Redaktionsalltag quetschen muss. Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch mehr Zeit für solche Dinge.

    Gruß: Arne Sigge

  • 30. Juli 2016 at 22:27
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    Danke, Frau Einheuser,

    für diesen umfangreichen und absolut korrekten Text, an dem ich “nix zu meckern” habe. Aber vielleicht darf ich Sie und die content.de-community einmal mehr in die Niederungen des Lokaljournalismus entführen. Manchmal gehört die Kommentarspalte zu den größten Schwächen einer Lokalzeitung – vereinzelt bis hart an der Grenze zur Lächerlichkeit – und dafür gibt es einige Gründe.

    Da ist zum Beispiel der Redaktionsleiter, der im gleichen Kegelverein (Kirchenvorstand, Partei, Freiwillige Feuerwehr, DRK-Ortsverein, Elternpflegschaft der Grundschule) Mitglied ist wie der Bürgermeister. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, Frau Einheuser, dass dieser Lokalchef einen knallharten Kommentar zum Totalversagen der Gemeindeverwaltung bei der Gewerbeansiedlung schreibt? Ich bin ziemlich sicher, dass wir da einer Meinung sind.

    Noch peinlicher wird es, wenn der Redaktionsleiter ehrenamtlich der Schriftführer des örtlichen Karnevals- oder Schützenvereins ist. Die Prunksitzung der närrischen Jahreszeit kann noch so schlecht, peinlich, gespickt mit frauenfeindlichen und migrantenverachtenden Büttenreden auf unterstem Stammtisch-Niveau sein: Im Kommentar zum großen lokalen Aufmacherartikel mit vielen Fotos (“besuchen Sie auch unsere ausführliche Bilderstrecke im Internet”) in der Zeitung dazu ist von einem großartigen Abend die Rede. Selbst dann, wenn sich nur ein Dutzend ältere Herren in der Gartenlaube des Vereinsvorsitzenden schmutzige, niveaulose Witze erzählten und sich dabei gnadenlos besoffen.

    Etwas anspruchsvoller stellt sich ein anderer Grund für schlechte, substanzlose und unprofilierte Kommentare in Zeitungen dar. Sie finden sich sogar auf den Mantelseiten, also dort, wo Angela Merkel oder Donald Trump Thema der Kommentare sind. Die verfasst nämlich ein freiberuflicher Korrespondent in Berlin oder Washington, der gleich für mehrere, unterschiedliche Zeitungsverleger mit völlig gegensätzlicher Abonnenten-Klientel schreibt. Sie wohnen zum einen im ländlichen, aber industriell geprägten Einzugsgebiet mit vielen klein- und mittelständischen Unternehmen. Die Bürgermeister und Gemeinderatsmehrheiten dieser Kommunen sind Sozialdemokraten mit großer weltanschaulicher Nähe zu Betriebsräten und Gewerkschaften.
    Das andere Einzugsgebiet, für dessen Abonnenten der Kommentar ebenfalls “passen” muss, ist eine landwirtschaftlich geprägte Region mit Agrar-Unternehmern, die wie Feudalfürsten herrschen. Sie dominieren mit ihren Vertretern die Gemeinderäte weit jenseits der 50-Prozent-Marke und “bestellen” bei den CDU-Bürgermeistern “ihre” Politik. Wie sieht wohl ein Kommentar aus, Frau Einheuser, der diese beiden Abonnentenkreise gleichermaßen bedient? Es ist kein Kommentar, die Sätze stammen aus der Phrasendreschmaschine und das, was sie aussagen ist: Nichts! Diese sogenannten Kommentatoren scheuen eine klare Aussage wie Franz Beckenbauer die Ethik-Kommission der FIFA, denn das kostet sie die Hälfte ihrer Leser und reduziert ihr Einkommen um die Hälfte. Einer der beiden Verleger, für die sie schreiben, schmeißt sie dann nämlich raus.

    Ja, ich gehe da auch selbst im Büßerhemd: Meine Nähe in den langen Jahren als Sportredakteur im Profibereich zu Vereinsvorsitzenden, Managern, Mannschaftskapitänen und Sponsoren war allzu groß. Ich habe nur äußerst zögerlich über schwarze Kassen sowie Beitragsrückstände bei der Berufsgenossenschaft geschrieben und auf den Kommentar dazu – einfach verzichtet. Er wäre ohnehin nur ein ganz schlechtes Stück Journalismus gewesen.

    Mit einer Entschuldigung für diese desillusionierenden Aussagen aus den Niederungen der Medien grüßt Sie, Frau Einheuser, und die content.de-community
    Peter Umlauf

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