Sommerferien bei Opa Willem

Eine Kindergeschichte von Autorin Tinlizzy

Hannes war ein ganz normaler Junge und lebte in einer großen Stadt. Fünf Tage in der Woche musste er früh aufstehen, um zur Schule zu gehen, was er gar nicht mochte, denn Hannes war ein ganz normaler Junge. Er war weder groß noch klein, dafür hatte er einen kleinen Bauch, den Mama liebevoll seinen ‚Waschbärbauch’ nannte. Sein Haar war weder braun noch blond noch schwarz, sondern irgendetwas dazwischen und ihm fehlte zurzeit ein Zahn vorn, was ihn auch nicht besser aussehen ließ. Hannes war kein großartiger Fußballspieler, er konnte auch nicht rappen, war nicht mal cool und schon gar kein guter Schüler. Sein Zeugnis war so bunt gemischt wie seine Haarfarbe. Na ja, eine Sache hatte er schon, ein paar Sommersprossen, aber darauf konnte man sich nichts einbilden. Zu Hause saß Hannes gern vor dem Computer und spielte einen Helden, der gegen wilde Drachen und Orks kämpfte. In der Schule kämpfte er meist mit Mathe und der Rechtschreibung, was Mama und Papa heute auf jeden Fall erfahren würden, denn er bekam sein Jahreszeugnis mit nach Hause. Als Papa es sah, kam jedoch nur ein strenger Blick und ein Gemurmel, dass nach ‚ das muss besser werden, Sohn’ klang.
Mama lächelte nur leise, als sie auf sein Zeugnis blickte und sagte gar nichts. Das war verdächtig! Es war immer verdächtig, wenn Mama nicht schimpft. Aber wenn sie gar nichts sagte, war das verdächtig im Quadrat. Soviel wusste Hannes von Mathe noch, dass Mama stillschweigend im Quadrat gar nicht gut für ihn ausging.
„ Du kannst deine Sachen packen, Hannes, du fährst in den Sommerferien zu Opa Willem“, meinte sie beiläufig. Hannes erstarrte. Opa Willem?
„ Wirklich? Muss ich denn zu Opa Willem? Opa Willem hat nicht mal einen Fernseher“, rief er erschrocken aus. Doch Mama blieb knallhart und eine Stunde später saß er im Auto, das ihn zu Opa Willem brachte.

Als Hannes ausstieg, roch es seltsam, als er sich umsah. Es roch salzig, wässrig und ein wenig modrig nach Fisch. Das war der Geruch von Opa Willem, der an der Nordseeküste direkt hinterm Deich lebte. Dort hatte er mit Oma Lene eine kleine Kate und jeden Morgen fuhr Opa Willem mit seinem kleinen Boot hinaus auf die Nordsee, um dort Fische und Krabben zu fangen. Das kleine Haus war weiß gestrichen und hatte ein altes Dach mit Reet und Moos. Der Garten war voller bunter Blumen, große und kleine, dazwischen wuchsen echte, riesige Erdbeeren und zwei Hühner liefen auch herum. Opa Willem hatte einen Hund, der Doktor Gerd hieß und Oma Lene eine Katze, die ‚Frau Lehrerin’ gerufen wurde. Hannes drängte sich ängstlich an Doktor Gert und den Hühnern vorbei. Sein Abendessen bestand Buttermilchsuppe und Salamibrot. Und da Opa Willem keinen Fernseher hatte, musste Hannes sich mit einem Buch zu Oma Lene setzen. Das war so öde. Oma Lene hatte graues Haar, dass sie in einem Dutt trug und sie trug immer diese dunkelblaue Schürze mit kleinen, weißen Punkten. Opa Willem hatte wenige, graue Haare, dafür aber einen dicken Vollbart und er rauchte abends seine Pfeife. Der Vanillegeruch des Tabaks hing neben dem vom Holzofen in der Luft. Er trug immer karierte Hemden, eine dunkle Arbeitshose und lief entweder in Gummistiefeln oder Clogs herum.
„ Na, Hannes, willst du morgen früh mit mir und dem Boot rausfahren?“, fragte Opa Willem ihn nach einer Weile, während Hannes gelangweilt im Buch herumblätterte.
„ Nö, ich schlafe gern aus. Kannst du mich so gegen Mittag wecken, Oma?“, entgegnete Hannes kopfschüttelnd.
„ Ja, mein Liebling, ich werde dich wecken“, erklärte Oma Lene mit dem selben Lächeln wie Mama, was ihn irritierte.
„Hannes, aufstehen!“, diese Worte klangen Hannes noch immer in den Ohren. Er stand leicht schlotternd mit weichen Knien auf Opa Willems kleinen Kutter und sie fuhren dorthin, wo kein Land zu sehen war, was Hannes noch mehr unberuhigte als den Uhrzeiger auf 5 Uhr zu sehen.
„ Opa Willem, was machen wir hier?“, fragte Hannes und rieb sich die Hände warm.
„ Du hältst mal das Ruder und ich mache uns einen heißen Tee“, entschied Opa Willem und stellte Hannes einfach vor das Ruder.
„ Ich kann gar nicht Boot fahren“, rief Hannes entsetzt auf.
„ Ach, ist nicht tragisch, du wirst schon keine Rote Ampel überfahren“, meinte Opa Willem und verschwand. Hannes war das Herz stehen geblieben. Doch nach einer Weile sprang es von alleine an und Hannes blickte weit auf die offene See. Er wurde ganz ruhig und auf einmal schaukelte das Boot nicht mehr, sondern er fühlte den Rhythmus der See in seinen Beinen.
„ Opa Willem, das macht Spaß“, rief Hannes erfreut aus, als Opa Willem ihm seinen Tee gab. „ Fangen wir gleich ganz viele Fische?“.
„ Wie viele Fische wir fangen werden, weiß ich nicht. Aber ich weiß, was passiert, wenn man zu gierig ist“. Er rieb sich seinen Bart und erzählte: „ Da war mal ein Fischer namens Bullubullu, der wohnte in Afrika und fischte jeden Tag“.
„ In Afrika gibt es aber Löwen und Elefanten“.
„ In den Seen, Flüssen und an der Küste gibt es Fische und Bullubullu ging jeden Tag zum Fischen raus. Aber er fing nie viele Fische, sondern eigentlich immer nur so viele Fische, wie er brauchte. Doch er träumte davon, ganz viele Boote zu besitzen und damit wollte er unbedingt so viele Fische fangen, dass die Fischhändler ihn in Gold aufwiegen mussten. Also ging Bullubullu zu einem Zauberer und versprach ihm den ersten Tagesfang von allen seinen Fischerbooten, wenn er seinen Traum wahr machte. Der Zauberer blickte ihn mit ganz schwarzen Augen misstrauisch an, stimmte dann aber zu und versprach Bullubullu, dass er in der Nacht des nächsten Vollmondes eine Flotte von sieben Fischerbooten bekommen würde. Und als der nächste Vollmond kam, legte sich ein glitzernder Zauber aus Mondstrahlen über das Wasser und erschuf sieben große, prächtige Fischerboote wie die Leute sie dort noch nie zu sehen bekommen hatten. Sie trugen Bullubullus Namen und fuhren bei Sonnenaufgang hinaus, um Fische zu fangen. Bullubullus Freude war übermächtig und er tanzte und sang am Kai des Hafens. Am späten Abend kamen dann seine sieben Fischerboote zurück und sie waren bis oben hin voll beladen mit wertvollen Fischen. Da erschien der Zauberer und wollte seinen versprochenen Lohn von Bullubullu kassieren. Doch Bullubullu nannte den Zauberer einen Lügner und Betrüger, der ihm seinen ersten Fang stehlen wollte. Es seien ja seine Fischerboote, die diesen prächtigen Fang gemacht hätten und ihn zu einem reichen Mann machen würden. Der Zauberer blickte Bullubullu bitterböse an und rief ihm im Gehen zu, dass er das bereuen würde. Doch Bullubullu lachte ihn aus und verkaufte seinen großen Fang zu einem sagenhaften Preis an die Fischhändler vor Ort. Glücklich schlief er auf drei großen Säcken mit Geld. Am nächsten Morgen gab es ein fürchterliches Geschrei, das Bullubullu aus seinen süßen Träumen auf den Geldsäcken herausriss. Alle Fischhändler der Gegend standen vor seinem Haus und beschimpften ihn wüst, denn über Nacht waren die ganzen prachtvollen Fische ganz schwarz geworden und stanken so faulig, dass sich einem der Magen umdrehte. Bullubullu musste ihnen nicht nur das ganze Geld wiedergeben, sondern sie nahmen ihm auch noch sein Erspartes weg. Bullubullu war zwar sehr traurig, aber er hatte ja noch seine Fischerboote, die in die Morgensonne auf das offene Meer gesegelt waren. Sie brachten ihm spät am Abend so viele Fische, dass davon eine ganze Stadt einen Monat von Leben konnte. Stolz wie ein Spanier wollte Bullubullu seine Fische verkaufen, doch niemand wollte auch nur eine magere Sardine von ihm kaufen. Alle Menschen hatten davon gehört, was mit seinem letzten Fang passiert war und niemand wollte Fische, die schwarz wurden und stanken. Enttäuscht saß Bullubullu nun auf seinem riesigen Fang und sah zu, wie er schwarz wurde, denn niemand hatte von ihm auch nur einen Fisch als Geschenk genommen. Am nächsten Morgen saß Bullubullu auf einem großen Haufen stinkender Fische, während seine Fischerboote aufs Meer hinaus fuhren, um ihm noch mehr Fische zu bringen. Als sie dann am Abend einliefen, waren die Fischerboote von Bullubullu bis zum Rand mit Fischen gefüllt und die Fischerboote der anderen Männer hatten nicht einmal einen Heringsschwanz bekommen. Da wurden die Männer sehr zornig und gaben Bullubullu die Schuld an ihrem Unglück. Sie waren so böse, dass sie seine wunderschönen Fischboote in Brand setzten und Bullubullu aus ihrer Stadt jagten. Bullubullu war von da an ein Bettler, der nur sehr selten ein Kupferstück von einer mitleidigen Seele bekam, weil er so schrecklich nach gammeligem Fisch stank“. Hannes starrte Opa Willem verblüfft an. Eigentlich wollte er ihm sagen, wie cool diese Geschichte von Bullubullu war, doch er fand einfach nicht die richtigen Worte. Aber Opa Willem fragte auch nicht nach, sondern trank seine Tasse Tee leer und warf dann die Krabbennetze aus. Hannes half ihm dabei, die prall gefüllten Krabbennetze zu leeren und anschließend kochten sie Krabben in einem riesigen Kessel ab.
„ Opa Willem, ist der Fang in Ordnung oder ist das schon zu gierig?“, fragte Hannes zwischendurch, während er nachdenklich auf die vielen Krabben starrte.
„ Ach, mien Jung, ich hab’ ja keinen Zauberer meinen Fang von heute versprochen und ich habe die Krabben auch nicht ins Netz getrieben. Die sind da von allein rein gegangen und ich denke, das geht dann in Ordnung“. Das beruhigte Hannes. Als sie gegen Mittag auf dem Heimweg Hunger bekamen, pulten sie sich jeder eine große Portion von den frisch gekochten Krabben und das war das köstlichste Mittagessen, was Hannes jemals gegessen hatte. Am Abend, nachdem Opa Willem mit zufriedener Mine seinen Krabbenfang verkauft hatte, aßen sie zusammen Buttermilchsuppe und Schwarzbrot mit Krabben und spielten den ganze Abend ‚Mensch ärgere dich nicht’.

Als Hannes am nächsten Morgen erwachte, da war die Sonne schon lange aufgegangen und er sprang erschrocken aus dem Bett. Eilig lief in der Küche und rief aufgeregt:“ Oma Lene, Opa Willem ist ohne mich mit dem Kutter rausgefahren“.
„ Ach nee, mien Jung, Opa Willem ist im Garten und pflückt Salat und gräbt Möhren aus. Heute ist doch Wochenmarkt“, erwiderte Oma Lene. Hannes sprang förmlich in seine Kleidung, um Opa Willem im Garten zu helfen. Sie legten allerlei Gemüse, Kartoffeln und Salat auf einen Anhänger, der von einem uralten Trecker gezogen wurde. Ein kleiner Auspuff an der Seite tuckerte munter im dreiviertel Takt, als sie ins nächste Dorf zuckelte, dass Grotenplagg hieß. Opa Willem stellte auf dem Markt einen alten Tapeziertisch hin und legte seine Ware drauf. Kaum lagen seine Sachen dort, kam eine alte Oma und kaufte Salat. Jemand kaufte dieses und ein anderes jenes. Opa Willem hatte am Mittag nicht mehr eine müde Rübe, sondern die Tasche voller Geld. Weil Hannes so lieb geholfen hatte, hielt Opa mit dem Trecker vor der Eisdiele des Dorfes und kaufte ihm ein großes Eis, das Hannes genüsslich leckte, während sie nach Hause tuckerten.
„ Opa Willem, wieso fährst du nicht jeden Tag zum Markt und verkaufst dein ganzes Gemüse, wenn du soviel Geld dafür bekommst?“, fragte Hannes beiläufig.
„ Ach, ich bin ganz zufrieden und es ist auch nur einmal in der Woche Markttag“.
„ Ja, aber in einem anderen Dorf ist an einem anderen Tag Markttag und da könntest du dein Gemüse verkaufen“.
„ Mag sein, aber ich habe ja nur einen kleinen Garten und da wächst das Gemüse einfach vor sich hin“, meinte Opa Willem nachdenklich. „ Aber ich habe von einem Zwerg gehört, der hatte da ganz eigene Pläne. Der Zwerg, der wohnte ein wenig weiter weg. Da, wo die Berge beginnen, glaube ich jedenfalls, und er hieß Grummelbart. Er war für einen Zwerg recht groß und hatte einen fuchsroten Bart mit lauter Kringeln drin. Grummelbart hatte zweihundert Jahre in einem Berg geschuftet und dort nach Gold gesucht. Aber er hatte nie viel Gold gefunden, immer nur so viel, dass es reichte, um Essen und Lampenöl zu kaufen. Jetzt hatte er die Nase gestrichen voll vom Goldsuchen und beschloss, sein ganzes Erspartes, welches aus einem Edelsteinfund stammte, zu nehmen und ein Haus mit einem Garten zu kaufen. Er wollte Blumen anpflanzen und endlich genügend Gemüse, um sich eine leckere Gemüsesuppe zu kochen. Grummelbart pflanzte also Blumen und Gemüse, von dem er sich Gemüsesuppe kochte. Doch nach zwei Wochen mit Gemüsesuppe, grummelte nicht nur sein Bart, sondern auch sein Bauch und verlangte nach etwas anderem. Also nahm Grummelbart sein Gemüse und ein paar Blumen, um es auf dem Markt zu verkaufen. Grummelbart konnte sein Gemüse kaum auspacken, denn die Hausfrauen des Dorfes rissen ihm sein Gemüse praktisch aus den Händen. Nach nur einer Stunde hatte er zwar kein einziges Salatblatt mehr, aber Taschen voller Gold wie nie zuvor. Da dachte Grummelbart sich, dass er zweihundert Jahre vergeudet hätte. Um an das Gold anderer Leute zu kommen, musste man einfach nur Gemüse verkaufen. Also holte er sich neue Gemüsesamen und säte sie aus. Am nächsten Morgen schaute er nach, ob er schon neues Gemüse ernten konnte. Doch es gab nichts zu sehen. Es dauerte ganze vierzehn Tage, bis ein kleines Hälmchen sich aus dem Möhrenbeet zu schauen traute. Grummelbart überlegte, dass es ja noch Wochen dauern würde, bis er neue Ernte bekam. Das dauerte ihm eindeutig zu lange. Er stellte sich hin und schimpfte mit den kleinen Pflanzenhalmen, dass sie gefälligst sofort wachsen sollten, damit er morgen eine neue Ernte bekommen würde. Doch als er nachsah, war keines der kleinen Pflänzchen gewachsen. Sie sahen noch immer mickrig aus. „ Nun, wenn ihr es nicht anders wollt, denn helfe ich auf die Sprünge. Ich, Grummelbart, bin nicht umsonst ein erfahrener Bergbauzwerg“. Grummelbart wusste ganz genau, wie man eine komplizierte Maschine aus Holz bauen konnte. Darum baute er für seine Möhren eine Streckbank, für seinen Kohlrabi einen Blasenbalg, um ihn aufzupusten und für seinen Salat hatte er eine Art Teppichstange mit Gewichten gebaut, die die Salatblätter größer ziehen sollte. Grummelbart ging abends schlafen, nachdem er seine Möhren auf die Streckbank gelegt, seinen Kohlrabi aufgeplustert und die Salatblätter größer gezogen hatte. Am nächsten Morgen waren seine Möhren so groß, dass er sie verkaufen konnte. Doch sie waren sehr dürr. Dafür war sein Kohlrabi dudeldick und die Salatblätter waren so groß, dass man sie als Taschentuch benutzen konnte. Grummelbart rannte mit seiner neuen Ernte schnell auf den Markt und legte sie auf den Tisch. Eine Frau kam vorbei und blickte skeptisch auf seine Möhren. „ Die sind aber sehr dünn“, mäkelte sie.
„ Dafür sind sie lang und reichen für den ganzen Suppentopf“.
„ Die Möhren sind ja so dünn, dass ich sie keinem Esel geben würde. Und mein Mann ist kein Esel, sondern der Bürgermeister“. Sie hob die Nase hoch und ging ohne Möhren fort. Die nächste Frau besah sich seinen Kohlrabi und als sie draufdrückte, explodierte der Kohlrabi und Grummelbart musste ein Stück Kohlrabi sogar aus ihrer Nase holen. Als eine Frau seinen Salat begutachtete, kam ein leichter Windstoß und der Salat wickelte die Frau so ein, dass sie ihre Eier fallen ließ und Grummelbart wüst beschimpfte, dass er das schlechteste Gemüse aller Zeiten hätte“. Opa Willem schwieg. Hannes sah ihn ganz hektisch an und rief aufgeregt: “ Was ist denn nun aus Grummelbart geworden?“.
„ Ach, Grummelbart hat seine Maschinen benutzt, um den Kamin zu heitzen und schaut seinem Gemüse im jedem Frühjahr beim Wachsen zu. Und wenn nichts mehr wächst, keine Blume mehr und auch kein Kohl, dann geht er in den Berg und sucht nach Gold“. Hannes atmete erleichtert durch. Grummelbart war wirklich ein schlauer Zwerg. An diesem Nachmittag half Hannes Oma Lene beim Einkochen des Gemüses für den Winter und abends aßen sie Buttermilchsuppe und spielten Rommée.

Hannes hatte wunderschöne Ferien mit Opa Willem und Oma Lene. Wenn er morgens aufstand, dann unternahm er meist mit einem von beiden etwas, was er nie zuvor gemacht hatte wie Trecker fahren oder die Ziege ‚Agathe Wunderhorn’ zu melken. Aus der Milch machte Oma Lene Ziegenkäse und aus der Milch von der Kuh namens ‚Nachbar Wunderlich’ machte Oma Lene entweder Butter, wodurch sie immer Buttermilch bekam, oder sie kochte leckeren Pudding davon. Hannes aß jetzt dicke, runde Erdbeeren aus dem Garten mit Schlagsahne obendrauf, die er selber gepflückt hatte. Und einmal machte er das Rührei für die Krabben, die er mit Opa Willem gefangen und mit Oma Lene ausgepult hatte. Er spielte mit der Katze ‚Frau Lehrerin’ ‚Fang die Maus’ und dem Hund ‚Doktor Gerd’ brachte er bei, ein Stöckchen aus dem Wasser zu holen, wenn Hannes es reinwarf. Aber an diesem einen Abend war es beim Abendessen ganz still und nur die Buttermilchsuppe tropfte etwas lauter als sonst vom Löffel. „ Hannes, mien Jung, du musst nachher noch deine Sachen packen. Morgen holt Mama dich ab. Die Ferien sind in drei Tagen vorbei“, erklärte Oma Lene ihm mitleidig. Hannes zuckte erschrocken zusammen und rief empört aus: „ Nee, das mache ich nicht! Ich will hier bleiben. Die blöde Schule kann mir gestohlen bleiben. Ich bleibe hier, wo es Krabben und Erdbeeren gibt“. Oma Lene lächelte leise und Opa Willem strich sich über den Bart. Hannes wusste sofort, dass Opa Willem wieder eine Geschichte eingefallen war.
„ Ja, mien Jung, da bist du nicht der einzige, der keine Lust mehr hatte. Ich kenne da einen alten Mann, der dachte genauso wie du auch“, begann Opa Willem.
„ Und was war das für ein alter Mann?“.
„ Ja, das war ein wirklich sehr, sehr alter Mann, der eigentlich nur einen Tag im Jahr richtig arbeitete und zwar immer an Weihnachten. Er hatte dichtes, graues Haar, einen dicken, weißen Bart und er trug immer so gern einen plüschigen, roten Anzug, so mit weißen Pelzrand und schwarzen Stiefeln“. Hannes riss entsetzt die Augen auf und hauchte: „ Sprichst du etwa vom Weihnachtsmann?“.
„ Tja, was er genau von Beruf ist, hat er mir ja nie gesagt, der Mann, als er hier im letzten Jahr in Grotenplagg Urlaub gemacht hat. Also, das war folgendermaßen. Du weißt doch, Anfang Sommer, da kommen immer die Urlaubsgäste an die Küste. Oma glaubt ja noch immer, dass sie alle nur hierher kommen, um bei Ebbe dem Wasser hinterher zu laufen und um zu fragen, wo es denn hinwill. Ich glaube ja, dass die nur hierher kommen, weil die Krabben, der Aal und der Matjes so gut schmecken. Da geh ich also im letzten Jahr so in den Hafen und will zu meinem Kutter, da sehe ich diesen Touristen in dem plüschigen, roten Anzug, der sich ganz verzweifelt umsieht. Als er mich sieht, da fragt er mich doch tatsächlich: „ Wenn ich da hinten lang gehe, Opa Willem, liegt dann da der Hafen?“. Darauf habe ich ihm natürlich geantwortet, dass der Hafen da auch liegt, wenn er da nicht lang geht. Da hat der alte Mann mit der roten Mütze aber gelacht, dass sein Bauch so wild gewackelt hat, als würden zwei Katzen in einem Sack stecken. Er meinte mit seiner tiefen Stimme: „ Opa Willem, du bist mir ein richtiger Scherzkeks. Wohin willst du?“. Da habe ich ihm gesagt, dass ich ja nun rausfahren muss, um endlich mal Krabben und Scholle zu fangen. Da meinte er, dass hätte er ja noch nie gemacht und gefragt, ob er mitfahren dürfte. Ich kann ja immer eine helfende Hand gebrauchen, weißt du, mien Jung, und darum habe ich ihn mitfahren lassen. Er konnte mir ganz gut helfen beim Krabbenfang und auch bei den Schollen. Aber eins sage ich dir, Tee kochen, dass konnte er nicht. Der Tee schmeckte jedes Mal wie heiße Schokolade und es gab immer Kekse dazu. Warum weiß ich auch nicht. Tja, und als der gute Mann in dem roten Anzug mir dann ganze vier Wochen geholfen hatte, da kam ein so kleiner komischer Mann in den Hafen, der ganz aufgeregt hin und her hüpfte. Er trug einen komischen, grünen Hut, hatte ganz spitze, große Ohren, schwarze Haare und einen grünen Anzug an mit so komischen braunen Schuhen, die wie ein Schnabel geformt waren. Und in jeder Jackentasche hatte er eine kleine Puppe oder eine bunte Zuckerstange stecken. Also, dieser kleine Kerl, mien Jung, der hat ja auch nicht gesagt, wie er heißt, nicht wahr? Aber er wollte von mir wissen, ob ich so einen dicken, alten Mann in einem roten Anzug gesehen hätte, der unbedingt in Grotenplagg mal Urlaub machen wollte. Da habe ich ja gesagt und ihn mit zum Boot genommen, weil mein Sommergast schon da war. Aber da trug er ja schon gar keinen roten Anzug mit weißen Fellrändern mehr, sondern einen Blaumann, weil die Schmiere von Winsch ja nicht aus dem roten Anzug rausgeht. Und unter dem Blaumann, da trug der dicke Tourist jetzt immer so große Unterhosen mit Mickey Mouse Aufdruck. Nur Tee, den konnte er nach vier Wochen auf dem Kutter noch immer nicht kochen. Auf jeden Fall ist der kleine Mann im grünen Anzug fast in Ohnmacht gefallen, als er meinen Sommergast im Blaumann sah. Hätte der alte Hinnerk von der ‚Silbermöwe’ nicht noch einen alten, vergammelten Schellfisch im Laderaum gehabt, da würde der kleine Mann wohl noch immer schlafen. Jedenfalls sagte der kleine Mann im grünen Anzug zu meinem Sommergast, dass es nun Zeit wäre, wieder an die Arbeit zu gehen, weil sie ja noch so viel zum Vorbereiten für den Tag X hätten. Aber mein Sommergast hat zu ihm gesagt: ‚Nee, mien Jung, dieses Mal mach’ ich das nicht. Ich gehe viel lieber mit Opa Willem Krabben und Heilbutt fangen. Und den Heilbutt, den esse ich immer Senfsoße wie Oma Lene sie macht“.
„ Aber du hast doch eine Verantwortung“, rief der kleine Mann aus.
„ Ja, doch Opa Willem hat nun mal die besten Krabben und darum bleibe ich nun für immer hier“, entschied mein Sommergast“. Hannes riss entsetzt die Augen und flüsterte ehrfürchtig: „ Opa Willem, wieso habe ich denn im letzten Jahr doch noch Weihnachtsgeschenke bekommen, wenn der Weihnachtsmann nicht mehr von deinem Kutter runter gehen wollte?“.
„ Tja, mien Jung, das ist das ja man mit den Touristen, nicht wahr? Die glauben immer, man kann das ganze Jahr über Krabben fangen, wie man will. Aber im November kommt die Sturmsaison und legen wir den Kutter ins Bootshaus und fahren erst im März wieder raus. So einfach ist das!“. Opa Willem kicherte leise und Hannes musste auch lachen.
„ Weißt du was, mien Jung, ich glaube, Oma Lene hat noch immer eine von diesen Unterhosen mit Mickey Mouse drauf. Sie nimmt ihn immer zum Staubwischen als Andenken an meinen Sommergast“. Sie kicherten munter vor sich hin.
„ Opa Willem, im Sommer ist es hier wunderschön. Wie ist es im Winter?“, wollte Hannes wissen.
„ Oh, da ist es auch schön! Aber es gibt viel Stürme, im Garten wächst nichts, Fische kann man auch nicht fangen und nicht mal Doktor Gerd geht gerne vor die Tür. Der Winter ist die Zeit, wo man am Kamin sitzt und sich mal Tee und Friesentorte gönnt. Und zu Weihnachten vielleicht mal eine heiße Schokolade mit Keksen“. Hannes lächelte leise wie es sonst immer nur seine Mutter es tat.
„ Opa Willem, kann ich dann in den nächsten Sommerferien wieder zu euch kommen?“, fragte Hannes.
„ Du kannst auch schon in den Osterferien kommen, mien Jung. Da ist es hier auch schön und du kannst mir helfen, den Kutter für die Fischsaison fertig zu machen. Ach, übrigens, ich habe da mal einen Hasen gesehen, der trug einen Anzug und fragte mich… ach nee, die Geschichte erzähle ich dir, wenn du wieder kommst“.
„ Opa Willem, da freu’ ich mich schon drauf, ganz ehrlich“.

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