Groß geworden: das neue Es-zett

Vom ß zum ẞ

Kaum etwas ist so deutsch wie unser Eszett. Ein Aufschrei ging durchs Land, als im Dezember 2016 der Rat für deutsche Rechtschreibung den Vorschlag machte, die Verwendung einer großen Schwester des ß für die Versalschrift in die Rechtschreibregeln aufzunehmen. Bisher war der bereits 2008 entwickelte Großbuchstabe nur vereinzelt im Einsatz. 

Bei vielen Menschen trifft diese Empfehlung des Rechtschreibrats auf Unverständnis und Ablehnung, zumal schon die für die deutsche Sprache typische kleine Version des Eszett nach Ansicht etlicher Zeitgenossen mehr Probleme als Nutzen mit sich bringt. Auf den ersten Blick erscheint der neue Großbuchstabe unnötig. Zur Beruhigung sei jedoch gleich darauf hingewiesen, dass sein Gebrauch nicht verpflichtend sein soll und keine neuen Tastaturen dafür erforderlich wären. Die Verwendung des SS bleibt weiterhin richtig. Und gewisse Vorzüge lassen sich nicht leugnen. Das Thema wird jedenfalls wieder lebhaft diskutiert, unter anderem häufen sich Kommentare auf der entsprechenden Fanseite auf Facebook.

Ob ein Wort in Großbuchstaben im Deutschen mit einem großen Eszett geschrieben wird, ist nicht gleichgültig. Zur Begründung seines über die Vorgaben des Duden hinausgehenden Vorschlags nennt der Rechtschreibrat folgende Überlegungen:

  • Das ß ist der einzige reine Kleinbuchstabe (alle anderen Sprachen der Welt mit lateinischer Schrift haben genauso viele Klein- wie Großbuchstaben). Als eindeutige Minuskel wirkt das Zeichen zwischen Versalien wie ein Fremdkörper (Beispiel: MAßEINHEIT). Daher wurde bereits 2008 der entsprechende Großbuchstabe entwickelt.
  • Bei Namen (Personen- und Ortsnamen) – bei denen die Verwendung von ß und ss in normaler gemischter Schrift nicht durch die heutigen deutschen Rechtschreibregeln geregelt ist – ist die Schreibung mit Verwendung des Großbuchstabens ẞ auch in Versalien eindeutig. Die nach geltenden Regeln korrekte Schreibung MEISSNER lässt keine Rückschlüsse auf die Schreibung in gemischter Schrift zu; es könnte Meißner oder auch Meissner gemeint sein. Die Schreibweise MEIẞNER ist hingegen eindeutig. Diese Entsprechung ist vor allem für Behörden wichtig. Viele Formulare werden noch immer in Blockschrift ausgefüllt. Bei eindeutiger Schreibung ist es auch bei der Schreibweise mit Großbuchstaben beispielsweise nicht mehr möglich, eine fällige Zahlung mit dem Hinweis zu verweigern, man sei nicht der Adressat der Rechnung, da man sich mit ß schreibe. In letzter Zeit behalf man sich bei Namen in Versalschrift in offiziellen Schriftstücken mit dem kleinen ß.
  • Versalschrift kommt unter anderem in der Werbung häufig vor. Hier taucht neben SS immer wieder auch das kleine Eszett auf, das aber als Minuskel erkennbar ist. Der Bedarf ist also auch hier gegeben.

Gründe für einen neuen Buchstaben

Zu den Gründen, warum überhaupt ein Großbuchstabe entwickelt wurde, gehörten die folgenden:

  • Der einzige Grund, warum es noch kein großes Eszett gab, war, dass es zum Zeitpunkt seiner Entstehung in der damals üblichen Frakturschrift nicht in reiner Versalschrift geschrieben wurde (Ausnahme: die Schochische Versalschrift von 1844). Somit erübrigte sich ein Versal-ß, denn am Anfang eines Wortes steht ein ß nie.
  • Das ß war ursprünglich eine Ligatur aus ſ + s (= ss) und/oder ſ + z (= sz) (aus welcher dieser beiden Kombinationen es sich ergab oder ob es zwei Versionen gibt, ist umstritten, jedoch scheinen die Annahmen zur Version ſ + z (in Fraktur) zu tendieren. In der Frakturschrift waren Ligaturen teilweise obligatorisch und stellten satztechnisch jeweils eine grafische Einheit dar (dies betraf ch, ck, sch, st, und tz). Auch in der modernen Versalschrift ist die Trennung von Ligaturen in Einzelbuchstaben nicht durchgängig. Aus w, æ und œ werden nicht VV (oder UU), AE und OE, sondern W, Æ und Œ. Dass das ß in Versalschrift trotzdem nach den geltenden Regeln in SS getrennt wird, ist vor diesem Hintergrund nicht konsequent.
  • Selbst von den Umlaut-Buchstaben wurden bereits Entsprechungen für die Versalschrift geschaffen; ihre Verwendung ist inzwischen alltäglich. Es gibt keinen Grund, beim Versal-ß etwas anderes zu erwarten.
  • Nicht nur bei Eigennamen, sondern auch bei normalen Wörtern kann die Rückübersetzung von der Versalschrift in die gemischte Schrift schwierig sein, und zwar bei solchen, die in Versalschrift mehrdeutig sind. (Der Unterschied kann gravierend sein, siehe IN MASSEN – ob jemand in Massen oder in Maßen Sahnetorte zu sich nimmt, ist nicht ganz gleichgültig.)

(Vgl. zu diesen Überlegungen auch den Artikel von Ralf Herrmann und das englischsprachige Screencast-Video von Roßa und Herrmann.)

Die Form des neuen Buchstabens

Zur Festlegung einer grafischen Form für die neue Versalfassung des ß waren zahlreiche Faktoren in Betracht zu ziehen. Neben der auch für das Design relevanten Frage, ob man das ß als eine Verschmelzung von sz oder von ss auffasst, spielten unter anderem historische Vorläufer, Aspekte vorgegebener Formen für lateinische Versalien und die Unverwechselbarkeit eine Rolle. Diverse Alternativen waren in der Diskussion. Entwürfe, die nicht (wie das im Titel des Großen Duden verwendete Versal-Eszett) über das Formenspektrum der Versalien in den jeweiligen Schrifttypen hinausgehen, erhielten den Vorzug. So fügt sich der neue Buchstabe harmonisch in seine Umgebung ein und ist auch eindeutig als Großbuchstabe erkennbar. Gleichermaßen war darauf zu achten, dass das Versal-Eszett nicht mit ß, B oder β verwechselt werden kann. Im Ergebnis entstand die Dresdner Form.

Wie kann man ein Versal-Eszett erzeugen?

Schon jetzt schmückt sich die Gießener Zeitung in ihrem Titel mit dem neuen Großbuchstaben. Wenn der Vorschlag des Rechtschreibrates umgesetzt wird, wird es vermutlich mehr Aufträge und Projekte für Texter geben, in denen Versaltext mit ẞ verlangt wird. Noch sind die Tastaturbelegungen nicht standardmäßig angepasst, sodass die zentrale Frage im Raum steht, wie ein ẞ erzeugt werden kann.

Seit 2008 ist der Buchstabe in Unicode 5.1 angelegt, wo er mit der Tastenkombination U + 1E9E abrufbar ist. Unter Windows kann das ß in Fonts, die das Zeichen enthalten, ganz einfach mit Hochstelltaste + AltGr + ß oder mit Alt + 7838 (im Ziffernblock) erzeugt werden. (Die Kombination Alt + 7838 funktioniert im Texteingabefeld von content.de bisher nicht.) Da dies nicht in allen Versionen und Fonts ohne einen speziellen Tastaturtreiber geht, haben Texter zusätzlich online eine simple Möglichkeit, den neuen Buchstaben zu kopieren, ohne erst danach suchen zu müssen: auf Wikipedia ist eine Vorlage zu finden, die man kopieren und in den eigenen Text einfügen kann (https://de.wikipedia.org/wiki/Großes_ẞ).

Online finden sich verschiedene Fonts mit Versal-Eszett. Wer einen Font verwenden möchte, der das große Es-zett noch nicht enthält, kann den Zeichensatz vom Fachmann um diesen Buchstaben ergänzen lassen. Ein Typograf wird ein unverwechselbares Zeichen liefern, das im Design perfekt zu den anderen Versalien im betreffenden Font passt.

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Quellen:

Beinert, Wolfgang (Web): Typolexikon.de. Lexikon der europäischen Typografie. Verfügbar unter www.typolexikon.de . Abrufdatum 15.2.2017.

Herrmann, Ralf (2011):Ligaturen – Alles, was man wissen muss. Verfügbar unter http://www.typografie.info/3/artikel.htm/wissen/ligaturen-alles-was-man-wissen-muss-r96/

Herrmann, Ralf (2013): DAS ESZETT KOMMT ENDLICH GROẞ HERAUS. TypoJournal 4, verfügbar unter http://typografie.info/download/versaleszett.pdf bzw. http://j.mp/versaleszett

Herrmann, Ralf, Roßa, Nadine (2011): Capital Sharp S explained to Typographers. Screencast eines Vortrags anlässlich der Konferenz der Association Typographique Internationale (ATypI) in Reykjavik. Verfügbar unter http://www.typografie.info/3/artikel.htm/wissen/eszett-atypi/

Rat für deutsche Rechtschreibung (2016): Bericht des Rats für deutsche Rechtschreibung über die Wahrnehmung seiner Aufgaben in der Periode 2011-2016. Verfügbar unter http://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_Bericht_2011-2016.pdf#8tp:// . Abrufdatum 15.2.2017

Stötzner, Andreas (Web): signographie.de. Verfügbar unter www.signographie.de

https://de.wikipedia.org/wiki/Großes_ẞ

Bildnachweise:

#24969225 – “Schrift” | Urheber: radopix – Fotolia.de

#42564130 – “red fiery letters, ß” | Urheber: svetlanarib79 – Fotolia.de

5 thoughts on “Groß geworden: das neue Es-zett

  • 17. März 2017 at 09:00
    Permalink

    Es ist natürlich auch von Bedeutung, welchen Font sie eingestellt haben, es sollte Unicode sein. Dann sollte es per Tastenkombination klappen.

  • 16. März 2017 at 16:08
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    Danke für den Beitrag – sehr schön.

    Persönlich nutze ich für ähnliche Fälle schon immer Copy+Paste (z.B. für den langen Gedankenstrich oder Eigennamen wie Sacré Cœur), denn ich stehe mit Zahlen und Tastenkombinationen auf Kriegsfuß und würde mich dumm und dusslig suchen. Jetzt weiß ich, wo ich das große ẞ kopieren kann, sollte ich es mal benötigen. 😉

    Liebe Grüße, Claudia

  • 16. März 2017 at 15:15
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    Danke und Nein,

    Frau Lohmann: Bei mir klappt keine dieser Kombinationen – aber ich kann mir das große ß ja aus dem Link holen, den Sie angeben: ẞ. Jetzt hoffe ich, dass ich es irgendwann mal benötige …

    Gruß
    Peter Umlauf

  • 16. März 2017 at 14:30
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    Schön, dass Sie die “Sonderzeichen” auch so mögen.
    Bei den älteren Programmversionen funktionieren nicht alle der genannten Befehle; anfangs, kurz nach Einführung des Buchstabens 2008, funktionierte nur U + 1E9E, ging das bei Ihnen auch nicht?

  • 16. März 2017 at 13:31
    Permalink

    Ja, Frau Lohmann,

    wir benötigen das große ß tatsächlich für wichtige, sinnhafte Unterscheidungen. Darüber hinaus bin ich immer dafür, dass Sprachen ihre Eigenartigen beim Umgang mit dem im Prinzip gleichen Zeichensatz pflegen.

    Ich gehöre zum Fanclub der Umlaute (ä, ö, ü) und fand in der Schule und beim VHS-Sprachkurs auch immer die französischen Eigenwilligkeiten des Alphabets wie in “le cœur” originell.

    Bislang versuche ich allerdings vergeblich, ein großes ß in einem word-document zu generieren. Liegt es daran, dass mein word-Programm noch von 2010 ist?

    Gruß an die content.de-community von
    Peter Umlauf

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